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PUBLIKUMSBERATUNG von Kathrin Röggla (Mai 2008)
 
PUBLIKUMSBERATUNG von Kathrin Röggla (Mai 2008)
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Ausschweifende Abschweifungen
 
Ausschweifende Abschweifungen
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Kathrin Rögglas neues Stück im Theater am Neumarkt
 
Kathrin Rögglas neues Stück im Theater am Neumarkt
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Was ist ein erfolgreicher Zuschauer? Was charakterisiert ihn? Wie wird man zu ihm? Diese Fragen stehen am Anfang der «Publikumsberatung», einer «schüchternen Vorstellung» des Theaters am Neumarkt, die am 2. Mai zur Uraufführung gelangte.
 
Was ist ein erfolgreicher Zuschauer? Was charakterisiert ihn? Wie wird man zu ihm? Diese Fragen stehen am Anfang der «Publikumsberatung», einer «schüchternen Vorstellung» des Theaters am Neumarkt, die am 2. Mai zur Uraufführung gelangte.
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Ein Miniaturspieluhrensoftwareproduzent (Franz Tröger) führt als Sponsor der Veranstaltung in den Abend ein: Er wisse es sei nicht leicht für ein Theaterpublikum, wenn der Intendant (gemeint ist Direktor Wolfgang Reiter) und sein künstlerisches Team es nach vier Jahren zum Ende der Spielzeit verlasse, erklärt er. Den Zuschauern, die sich nun auf neue Formen des Theaters, auf neue künstlerische Handschriften vorbereiten müssten, möchte er die Umstellung erleichtern. Zu diesem Zweck habe er einen Schüchternheitsforscher (Leopold von Verschuer) als Referenten eingeladen – dieser werde die Theaterbesucher in eine «reiche Gedankenlandschaft» entführen und für «vergangene wie kommende Überraschungen» wappnen.
 
Ein Miniaturspieluhrensoftwareproduzent (Franz Tröger) führt als Sponsor der Veranstaltung in den Abend ein: Er wisse es sei nicht leicht für ein Theaterpublikum, wenn der Intendant (gemeint ist Direktor Wolfgang Reiter) und sein künstlerisches Team es nach vier Jahren zum Ende der Spielzeit verlasse, erklärt er. Den Zuschauern, die sich nun auf neue Formen des Theaters, auf neue künstlerische Handschriften vorbereiten müssten, möchte er die Umstellung erleichtern. Zu diesem Zweck habe er einen Schüchternheitsforscher (Leopold von Verschuer) als Referenten eingeladen – dieser werde die Theaterbesucher in eine «reiche Gedankenlandschaft» entführen und für «vergangene wie kommende Überraschungen» wappnen.
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«What’s the plot?»
 
«What’s the plot?»
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Als graue Maus in beigem Hemd und aschfarbenem Sakko betritt Verschuer die Bühne. Etwas verlegen begrüsst er das Publikum und beginnt seinem Vortrag: Aller Welt sei bekannt, dass man das Wort ‹Geschichte› dieser Tage kaum mehr aussprechen dürfe, da Geschichte vorbei sei, und ihr Vorbeisein ebenfalls. Eine Reihe von Heiner Müller-Zitaten lässt ihn alsbald merken, dass er das falsche Manuskript vorliest. Er legt es weg und setzt nochmals an: «What’s the plot?», fragt er und beginnt vom zeitgenössischen Katastrophenkino zu sprechen, das an Qualität verloren habe, das keine Riesenameisen, Killertomaten und dergleichen, sondern nur mehr müden Abklatsch zu bieten habe. Wieder stockt er, überlegt kurz und blättert dann zu Michel Foucault und dem Diskurs des ‹Intellektuellen› weiter. «What’s the plot?», mag sich inzwischen der Theaterbesucher fragen.
 
Als graue Maus in beigem Hemd und aschfarbenem Sakko betritt Verschuer die Bühne. Etwas verlegen begrüsst er das Publikum und beginnt seinem Vortrag: Aller Welt sei bekannt, dass man das Wort ‹Geschichte› dieser Tage kaum mehr aussprechen dürfe, da Geschichte vorbei sei, und ihr Vorbeisein ebenfalls. Eine Reihe von Heiner Müller-Zitaten lässt ihn alsbald merken, dass er das falsche Manuskript vorliest. Er legt es weg und setzt nochmals an: «What’s the plot?», fragt er und beginnt vom zeitgenössischen Katastrophenkino zu sprechen, das an Qualität verloren habe, das keine Riesenameisen, Killertomaten und dergleichen, sondern nur mehr müden Abklatsch zu bieten habe. Wieder stockt er, überlegt kurz und blättert dann zu Michel Foucault und dem Diskurs des ‹Intellektuellen› weiter. «What’s the plot?», mag sich inzwischen der Theaterbesucher fragen.
 
Das Programm der «Publikumsberatung» erweist sich in der Folge als eineinhalbstündiges Konvolut von Abschweifungen; Abschweifungen zu Themen, die sich leitmotivisch durch Kathrin Rögglas Schaffen ziehen: Menschliche Ängste, Kommunikationsschwierigkeiten und die Technisierung des Lebens. Bis hin zu Kinskis legendärem Talkshowauftritt von 1977 – vor drei Jahren von Röggla und Verschuer als Bühnenstück inszeniert – reichen die Exkurse des Referenten. Im Grunde gehört auch die Form des Vortrages, das ‹Consulting› durch einen (zweifelhaft) qualifizierten Spezialisten, zu den zentralen Interessengebieten der Autorin.
 
Das Programm der «Publikumsberatung» erweist sich in der Folge als eineinhalbstündiges Konvolut von Abschweifungen; Abschweifungen zu Themen, die sich leitmotivisch durch Kathrin Rögglas Schaffen ziehen: Menschliche Ängste, Kommunikationsschwierigkeiten und die Technisierung des Lebens. Bis hin zu Kinskis legendärem Talkshowauftritt von 1977 – vor drei Jahren von Röggla und Verschuer als Bühnenstück inszeniert – reichen die Exkurse des Referenten. Im Grunde gehört auch die Form des Vortrages, das ‹Consulting› durch einen (zweifelhaft) qualifizierten Spezialisten, zu den zentralen Interessengebieten der Autorin.
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Die hohe Kunst, Zuschauer zu sein
 
Die hohe Kunst, Zuschauer zu sein
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Dass dieser ausufernde, abendfüllende Monolog über weite Strecken grosses Vergnügen bereitet, ist der herausragenden schauspielerischen Leistung Verschuers zuzuschreiben. Wie er sich andauernd verrennt, von einem Thema zum anderen springt, zur feurigen Rede ansetzt und kleinlaut wieder abbricht, sorgt im Publikum für herzhaftes Lachen. Dabei ist der Vortrag keineswegs leichte Kost, und es ist nicht immer einfach, der rastlosen, fortwährend geistige Haken schlagenden Rede zu folgen. Dieser Schwierigkeit ist sich der Referent bewusst: «Man hat es nicht leicht als Publikum. Immer soll man reagieren, immer soll eine Haltung gewonnen werden zu den Geschehnissen auf der Bühne, die gar nicht so leicht einzuschätzen sind». Über Umwege findet er bisweilen zu den Problemen des Publikums, zu den anfänglich gestellten Fragen zurück – doch werden sie nur kurz gestreift und nie wirklich beantwortet. Zu viele verschiedene Manuskripte, zu viele andere Fragen stehen der Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema im Wege. Ein Zitat Karl Valentins führt zum Barock, und kaum dort angekommen, lauert bereits Jean Pauls Definition der Komik um die Ecke. Das Chaos wird komplettiert vom Mikrofon, das sich zwischendurch verselbständigt und Musik zu dudeln beginnt. Zu einer andächtigen Miniaturspieluhren-Melodie tragen Verschuer und Tröger am Ende einen gemeinsamen Abgesang vor: «Ja wo sind sie hin / Die Riesenameisen, die Killertomaten».
 
Dass dieser ausufernde, abendfüllende Monolog über weite Strecken grosses Vergnügen bereitet, ist der herausragenden schauspielerischen Leistung Verschuers zuzuschreiben. Wie er sich andauernd verrennt, von einem Thema zum anderen springt, zur feurigen Rede ansetzt und kleinlaut wieder abbricht, sorgt im Publikum für herzhaftes Lachen. Dabei ist der Vortrag keineswegs leichte Kost, und es ist nicht immer einfach, der rastlosen, fortwährend geistige Haken schlagenden Rede zu folgen. Dieser Schwierigkeit ist sich der Referent bewusst: «Man hat es nicht leicht als Publikum. Immer soll man reagieren, immer soll eine Haltung gewonnen werden zu den Geschehnissen auf der Bühne, die gar nicht so leicht einzuschätzen sind». Über Umwege findet er bisweilen zu den Problemen des Publikums, zu den anfänglich gestellten Fragen zurück – doch werden sie nur kurz gestreift und nie wirklich beantwortet. Zu viele verschiedene Manuskripte, zu viele andere Fragen stehen der Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema im Wege. Ein Zitat Karl Valentins führt zum Barock, und kaum dort angekommen, lauert bereits Jean Pauls Definition der Komik um die Ecke. Das Chaos wird komplettiert vom Mikrofon, das sich zwischendurch verselbständigt und Musik zu dudeln beginnt. Zu einer andächtigen Miniaturspieluhren-Melodie tragen Verschuer und Tröger am Ende einen gemeinsamen Abgesang vor: «Ja wo sind sie hin / Die Riesenameisen, die Killertomaten».
 
Ein Abend, der mit Fragen begonnen hat, endet mit Fragen. Was einen erfolgreichen Zuschauer ausmacht, wissen wir noch immer nicht. Doch wir haben die anfangs versprochene, reiche Gedankenlandschaft erfahren, im Grunde ein übersteigertes, doch gar nicht so fremdes Abbild unserer rastlosen, ratlosen Informationsgesellschaft. Die vielen losen, ausgefransten Erzählstränge bieten durchaus Anknüpfmöglichkeiten für ernsthafte Diskussionen.  
 
Ein Abend, der mit Fragen begonnen hat, endet mit Fragen. Was einen erfolgreichen Zuschauer ausmacht, wissen wir noch immer nicht. Doch wir haben die anfangs versprochene, reiche Gedankenlandschaft erfahren, im Grunde ein übersteigertes, doch gar nicht so fremdes Abbild unserer rastlosen, ratlosen Informationsgesellschaft. Die vielen losen, ausgefransten Erzählstränge bieten durchaus Anknüpfmöglichkeiten für ernsthafte Diskussionen.  
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Philipp Ramer (Kritik, verfasst im Rahmen des Seminars von Barbara Villiger-Heilig [NZZ] an der Universität Zürich)
 
Philipp Ramer (Kritik, verfasst im Rahmen des Seminars von Barbara Villiger-Heilig [NZZ] an der Universität Zürich)
  
 
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Version vom 23. Juni 2008, 09:47 Uhr

PUBLIKUMSBERATUNG von Kathrin Röggla (Mai 2008)


Ausschweifende Abschweifungen

Kathrin Rögglas neues Stück im Theater am Neumarkt


Was ist ein erfolgreicher Zuschauer? Was charakterisiert ihn? Wie wird man zu ihm? Diese Fragen stehen am Anfang der «Publikumsberatung», einer «schüchternen Vorstellung» des Theaters am Neumarkt, die am 2. Mai zur Uraufführung gelangte.


Ein Miniaturspieluhrensoftwareproduzent (Franz Tröger) führt als Sponsor der Veranstaltung in den Abend ein: Er wisse es sei nicht leicht für ein Theaterpublikum, wenn der Intendant (gemeint ist Direktor Wolfgang Reiter) und sein künstlerisches Team es nach vier Jahren zum Ende der Spielzeit verlasse, erklärt er. Den Zuschauern, die sich nun auf neue Formen des Theaters, auf neue künstlerische Handschriften vorbereiten müssten, möchte er die Umstellung erleichtern. Zu diesem Zweck habe er einen Schüchternheitsforscher (Leopold von Verschuer) als Referenten eingeladen – dieser werde die Theaterbesucher in eine «reiche Gedankenlandschaft» entführen und für «vergangene wie kommende Überraschungen» wappnen.


«What’s the plot?»

Als graue Maus in beigem Hemd und aschfarbenem Sakko betritt Verschuer die Bühne. Etwas verlegen begrüsst er das Publikum und beginnt seinem Vortrag: Aller Welt sei bekannt, dass man das Wort ‹Geschichte› dieser Tage kaum mehr aussprechen dürfe, da Geschichte vorbei sei, und ihr Vorbeisein ebenfalls. Eine Reihe von Heiner Müller-Zitaten lässt ihn alsbald merken, dass er das falsche Manuskript vorliest. Er legt es weg und setzt nochmals an: «What’s the plot?», fragt er und beginnt vom zeitgenössischen Katastrophenkino zu sprechen, das an Qualität verloren habe, das keine Riesenameisen, Killertomaten und dergleichen, sondern nur mehr müden Abklatsch zu bieten habe. Wieder stockt er, überlegt kurz und blättert dann zu Michel Foucault und dem Diskurs des ‹Intellektuellen› weiter. «What’s the plot?», mag sich inzwischen der Theaterbesucher fragen. Das Programm der «Publikumsberatung» erweist sich in der Folge als eineinhalbstündiges Konvolut von Abschweifungen; Abschweifungen zu Themen, die sich leitmotivisch durch Kathrin Rögglas Schaffen ziehen: Menschliche Ängste, Kommunikationsschwierigkeiten und die Technisierung des Lebens. Bis hin zu Kinskis legendärem Talkshowauftritt von 1977 – vor drei Jahren von Röggla und Verschuer als Bühnenstück inszeniert – reichen die Exkurse des Referenten. Im Grunde gehört auch die Form des Vortrages, das ‹Consulting› durch einen (zweifelhaft) qualifizierten Spezialisten, zu den zentralen Interessengebieten der Autorin.


Die hohe Kunst, Zuschauer zu sein

Dass dieser ausufernde, abendfüllende Monolog über weite Strecken grosses Vergnügen bereitet, ist der herausragenden schauspielerischen Leistung Verschuers zuzuschreiben. Wie er sich andauernd verrennt, von einem Thema zum anderen springt, zur feurigen Rede ansetzt und kleinlaut wieder abbricht, sorgt im Publikum für herzhaftes Lachen. Dabei ist der Vortrag keineswegs leichte Kost, und es ist nicht immer einfach, der rastlosen, fortwährend geistige Haken schlagenden Rede zu folgen. Dieser Schwierigkeit ist sich der Referent bewusst: «Man hat es nicht leicht als Publikum. Immer soll man reagieren, immer soll eine Haltung gewonnen werden zu den Geschehnissen auf der Bühne, die gar nicht so leicht einzuschätzen sind». Über Umwege findet er bisweilen zu den Problemen des Publikums, zu den anfänglich gestellten Fragen zurück – doch werden sie nur kurz gestreift und nie wirklich beantwortet. Zu viele verschiedene Manuskripte, zu viele andere Fragen stehen der Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema im Wege. Ein Zitat Karl Valentins führt zum Barock, und kaum dort angekommen, lauert bereits Jean Pauls Definition der Komik um die Ecke. Das Chaos wird komplettiert vom Mikrofon, das sich zwischendurch verselbständigt und Musik zu dudeln beginnt. Zu einer andächtigen Miniaturspieluhren-Melodie tragen Verschuer und Tröger am Ende einen gemeinsamen Abgesang vor: «Ja wo sind sie hin / Die Riesenameisen, die Killertomaten». Ein Abend, der mit Fragen begonnen hat, endet mit Fragen. Was einen erfolgreichen Zuschauer ausmacht, wissen wir noch immer nicht. Doch wir haben die anfangs versprochene, reiche Gedankenlandschaft erfahren, im Grunde ein übersteigertes, doch gar nicht so fremdes Abbild unserer rastlosen, ratlosen Informationsgesellschaft. Die vielen losen, ausgefransten Erzählstränge bieten durchaus Anknüpfmöglichkeiten für ernsthafte Diskussionen.


Philipp Ramer (Kritik, verfasst im Rahmen des Seminars von Barbara Villiger-Heilig [NZZ] an der Universität Zürich)