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22. Februar 2008, Tages Anzeiger


Ein fremdelnder Othello, der philosophiert


Uraufführung einer «Othello»-Variation am Neumarkt-Theater: mal zackig, mal zäh.

von Alexandra Kedves


Ein Superlativ ist dieser Inszenierung gewiss: Es ist der seltsamste «Othello», den man in Zürich je gesehen hat. Und so muss das auch sein, wenn ein Theater- und Filmmensch aus Uruguay (Landessprache Spanisch), der in Lissabon lebt (Landessprache Portugiesisch), der Violine in Köln und Philosophie in Paris studiert hat und auf Französisch Dramen schreibt, für ein Schweizer Haus einen englischen Klassiker umsetzt. Alvaro García de Zúñiga hat im Theater am Neumarkt nicht einfach Zeitloses mit den typischen zeitgemässen Mitteln inszeniert. Sondern er hat rund um den alten Shakespeare gleich ein neues Stück geschrieben: «RadiOthello» – eine Steilvorlage fürs experimentierfreudige, internationale Ensemble der Zürcher Bühne, Rutschpartien allerdings inklusive.


Dirigiertes Danebenhauen


Wie kann mans noch einmal spielen? Seit Jahrhunderten wird die Tragödie um den durch Ränke zum Mord an seiner geliebten (und unschuldigen) Frau Desdemona getriebenen «Mohren» Othello auf die Bühnen dieser Welt gehoben. Also spielt Zúñiga es nicht noch einmal. Stattdessen baut er eine Spielkonstellation: Die Hörspielabteilung eines Schweizer Radiosenders will «Othello» realisieren. Man fliegt für die Titelrolle einen schwarzhäutigen Guest Star ein, der kaum Deutsch kann; und man klönt dann genau darüber, ausserdem über Gott und die Welt, Kunst und Geld und was eben so dazugehört zu einer selbstreflexiv, sprachphilosophisch und gesellschaftskritisch aufgepeppten Performance. Da gibts keinen Plot, sondern eine Plauderei, mit Stimmen, die auch mal fugisch verschränkt werden, Textgeweben, die auch mal zum bunten Geräuschteppich ausgelegt werden. Aber wer jetzt fürchtet, an dem Abend im Neumarkt zweieinhalb Stunden lang (mit Pause) in einer Schwatzbude mit herausgeschwitztem Tiefsinn festzusitzen, der irrt. Denn da, wo etwa ein Leopold von Verschuer, im Hörspiel die Jago-Stimme, zur Comedy-Einlage über «den SMI, den Dax, den CAC 40, den ftse, Dow Jones, Nasdaq, Eurostoxx, Nikkei, IPC ...» aufdreht, hat «RadiOthello» eher etwas vom frisch belüfteten Brettl-Sound. Und Christoph Rath als Cassio-Stimme wiederum muss gar nicht viel sagen. Es reicht schon, wenn er seine Glieder verrenkt und die Augen verdreht: «Da kann man nix.»


Selbst die genuschelten Erstsemester-Weisheiten über den Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem, mit denen uns der Peter-Brook-Acteur William Nadylam in wunderschönem Französisch und gebrochenem Deutsch traktiert, lassen sich, mit der Zeit, ertragen. Das beginnt zwar mit zu viel Ernst, löst sich aber in lockeres körperstarkes Mimentheater auf: Wie Nadylam – Kamerun-Franzose und Pendant zum Star des Stücks («es ist kitschig, wenn ein Schwarzer Othello spielt») – mit Marianne Hamre (als Bianca) tanzt und nicht tanzt, macht die Längen wieder wett. Diese stilisierten Annäherungen an Gesellschaft und Gefühl hat der Lissabonner Bühnenbildner Miguel Palma in eine gleichfalls stilisierte Kulisse gestellt: in die Andeutung eines Flugzeugs; aufs Zitat einer Rollbahn; und, ein kleiner Coup, ins Aufnahmestudio des Radiosenders – eine transparente Plastikhaut mit vaginalem Schlitz, durch den die offensiv kostümierten Schauspieler-Schauspieler ständig zwischen den Ebenen, Leben und Blase, wechseln können. Drinnen «Othello»-Produktion, draussen Existenzkampf des Senders. Dass drumherum noch vier Bildschirme hängen, gehört zur unnötigen Opulenz dieses Projekts, die hier und dort auch im Text spürbar wird. Schade, dass da manchmal Sinnlichkeit zerredet, Potenzial, etwa von Silke Geertz (Desdemona) nicht ausgeschöpft wird. Zúñiga hat das Gebrabbel zu Babel als Textur des Danebenhauens, Vorbeiredens und Missverstehens komponiert – und dirigiert sie als Kabarett, Antitheater und Theaterpleite durch den Abend. Schräg. Bis 16. März.


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