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20. Februar 2008, Neue Zürcher Zeitung


Othello-Figur als Projektionsfläche


William Nadylam in einer Doppelrolle am Theater am Neumarkt


Der eingeflogene Star: Schauspieler William Nadylam vor dem Theater Neumarkt in Zürich. (Bild: Ellen Mathys)

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Er hat schon mit Peter Brook oder Luc Bondy gearbeitet, in Zürich spielt der französische Theater- und Filmschauspieler William Nadylam in Alvaro García de Zúñigas Inszenierung «radiOthello» den berühmten Star aus dem Ausland, der die Titelrolle aus Shakespeares «Othello» interpretieren darf.


Bettina Spoerri


Er ist der Fremde, der das Team durcheinanderbringt. Er darf in der neuen Produktion die Hauptrolle spielen, was den Neid der anderen weckt. Die Realität ist ein Teil der Inszenierung, indem ein möglicher Konflikt hinter den Bühnen in die Aufführung integriert wird: Das Schauspieler-Ensemble des Theaters am Neumarkt ist mit dem eingeflogenen Star William Nadylam konfrontiert, der ihnen sozusagen vor die Nase gesetzt worden ist, um die Titelrolle aus Shakespeares «Othello» zu interpretieren. Das will den anderen partout nicht einleuchten, sie halten ihn für eine völlige Fehlbesetzung. Denn erstens spricht der Star kein Deutsch und muss es erst mühsam, Satz für Satz lernen. Und zweitens ist eine natürliche dunkle Hautfarbe für den Othello-Darsteller kein entscheidendes Kriterium − erst recht nicht, wenn es sich bei der neuen Produktion um ein Hörspiel handelt. Alvaro García de Zúñigas Inszenierung «radiOthello» changiert zwischen Realität und Kunst, indem auf der Bühne nicht nur Teile eines «Othello»-Hörspiels nach Shakespeare entstehen, sondern auch der Entstehungsprozess des Hörspiels, die Diskussionen der an der Produktion Beteiligten, dargestellt wird. Und letztlich steht in dieser Stück-im-Stück-Konstruktion nicht mehr die Intrige von Othellos Widersacher Jago im Mittelpunkt, sondern die Machtkämpfe der Radiomitarbeiter und Schauspieler um einen notabene fiktiven Schweizer Radiosender in argen Finanznöten und die Kommunikationsprobleme in einer mehrsprachigen, transkulturellen Produktion.


Polyfonie und Multiperspektivität


William Nadylam kennt de Zúñigas Arbeitsweise, in der Diskussionen und lange Proben ein essenzieller Bestandteil sind. «Alvaro stellt immer wieder neue Fragen, betrachtet Situationen und Sätze aus mehreren Blickwinkeln und lotet Möglichkeiten aus», beschreibt er dessen Work-in-Progress-Verfahren. «radiOthello» hat sich so immer mehr zu einem Stück über Polyfonie und Multiperspektivität entwickelt. Denn nicht nur entsteht zuerst einmal ein Sprach-Babel, weil die Kommunikation mittels Übersetzungen vonstatten gehen muss − die Verständnisschwierigkeiten erstrecken sich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, die unterschiedlichen Kulturen und Sprachen mit ihren je eigenen Codes. Letztere Thematik bildet den festen Kern von Alvaro García de Zúñigas Regie-Intentionen, über die er in «radiOthello» indirekt auch mittels sprachphilosophischer Texte von Wittgenstein und Quine reflektiert.


«Er ist selbst eine Diaspora», sagt William Nadylam über de Zúñiga − und für ihn trifft dies nicht minder zu. De Zúñiga ist gebürtiger Uruguayer, der in Paris studierte und heute in Lissabon lebt, der begabte Geiger kam über das Musiktheater zum Sprechtheater. Nadylam wurde 1967 in Montpellier als Sohn eines Kameruners und einer Mutter aus La Réunion geboren und wuchs zweisprachig in Kamerun, Belgien, Ile de Réunion und Südfrankreich auf. Eine Schauspielausbildung begann er in Paris, nachdem er dort zuerst zwei Jahre Medizin studiert hatte. In Frankreich ist William Nadylam ein bekannter Theater- und Filmschauspieler, der unter anderem mit seiner Interpretation der Rodrigue-Figur in «Le Cid» von Pierre Corneille in der Inszenierung von Declan Donnellan Beachtung in der internationalen Presse erfuhr. Seit 2002 hat er in einer Hamlet-Produktion unter Regisseur Peter Brook gearbeitet und ist in «Viol» von Botho Strauss unter der Regie von Luc Bondy aufgetreten. Nadylam führt zudem auch immer wieder selbst Regie, etwa bei einem Stück von David Mamet oder von Heiner Müller.


Immer wieder Othello


Als schwarzer französischer Schauspieler wird William Nadylam gerne, wie er erzählt, in eine Schublade gesteckt, was für ihn einer künstlerischen Marginalisierung gleichkommt: «Man will mir immer die Othello-Rolle geben.» Wenn er bei de Zúñiga diese Figur verkörpere, dann genau deshalb, weil in «radiOthello» die Klischeevorstellungen über diesen Shakespeare-Charakter hinterfragt würden. In der Shakespeare-Forschung sei Othello mehrmals umgedeutet worden, je nachdem, welchen Platz man dem Fremden, für das er steht, in einer Weltsicht habe zuweisen wollen.


Im 19. Jahrhundert stellten Literaturwissenschafter in Frage, ob Othello überhaupt ein Schwarzer sein müsse, später schwang das Pendel wieder auf die andere Seite, und es wurden Textstellen zum Beweis angeführt, dass «der Mohr» kein anderer als ein Schwarzer sein könne. William Nadylam sieht diese Interpretationsgeschichte als Versuche, die Figur zu instrumentalisieren, und verweist auf den Wahlkampf um Barack Obama: «Auch er wird ja als der erste mögliche schwarze Präsident gehandelt, während er aufgrund seiner gemischten Abstammung von vielen Schwarzen gar nicht als Schwarzer akzeptiert wird.»


Mehrstimmigkeit und Multiperspektivität sind bei Alvaro García de Zúñiga insofern auch wörtlich zu verstehen, als sich die Wahrnehmung des Bühnenbildes − eingerichtet von Miguel Palma − und der darin gespielten Szenen je nach Betrachtungsperspektive stark verändert; darin erinnert die Anordnung von ferne an das elisabethanische Theater. Ausserdem artikulieren sich die Schauspieler von verschiedenen Standorten aus zuweilen gleichzeitig. Doch einmal sprechen zwei denselben Text in verschiedenen Sprachen simultan, und für einen kurzen Augenblick scheint die Utopie einer globalen Verständigung über alle Grenzen hinweg auf.


Zürich, Theater am Neumarkt. Nächste Aufführungen: 22., 23., 26.–29. Februar.


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