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radiOthello


ein Theater am Neumarkt produktion



In den Gewässern der Re-Kreation


Alvaro García de Zúñiga über «radiOthello», Hörspiel-Theater und Fremdsein in der eigenen Muttersprache


Als ich Alvaro die Frage stelle, warum er das Projekt «radiOthello» realisiert und nicht Shakespeares Klassiker «Othello», schaut er mich ungläubig an. Ich merke sofort, dass ich den Fehler gemacht habe, einen Künstler nach seinem Schaffen zu fragen. Vielleicht hätte ich das Werk selbst befragen sollen. Aber bis zur Premiere sind es noch ein paar Wochen und «radiOthello» entsteht als work-in-progess; es wird also vor, während und nach den Proben geschrieben, werden Töne und Geräusche, Stimmen und Polyphonien erzeugt, auf Tonträgern gespeichert, gelöscht, fixiert. «Es ist immer leichter, einen Autor zu verkaufen als ein Werk», sagt Alvaro, «weil ein Werk eben keine Fresse hat und nicht spricht. Warum erklären, warum ich A und nicht B mache», sagt Alvaro und fügt den Satz hinzu: «‹radiOthello› navigue dans l’ eau de la re-création.» – «‹radiOthello› segelt in den Gewässern der Re-Kreation.»


Eine doppelte Schöpfungsgeschichte. Denn «radiOthello» stellt nicht nur eine Theaterinszenierung, sondern daneben den Produktionsprozess einer Radio-Version des «Othello» von Shakespeare live auf der Bühne dar. Auf der einen Ebene von «radiOthello» werden Szenen aus Shakespeares Stück auf der Grundlage einer deutschen Übersetzung als Hörspiel produziert. Auf der zweiten Ebene spielt sich als Echo und in Kollision zur ersten ab, was passiert, wenn eine Radiobesitzerin neben ihren deutschsprachigen Schauspielern und Tontechnikern einen Star-Schauspieler aus Frankreich für das Hörspiel engagiert. Der Darsteller, der die Rolle des Jago übernehmen soll, hatte fest damit gerechnet, die Rolle des Othello zu bekommen. «Ich definiere Jago als den eigentlich Eifersüchtigen», sagt Alvaro, «und zwar nur ihn. Othello ist schlicht ein Ausländer, der den Verhaltenskodex des ihn umgebenden Milieus nicht durchschaut.» Einer der massgeblichen Aspekte von «radiOthello» besteht also darin, gleichzeitig sowohl eine Hörspielfassung des Shakespeare-Stückes herzustellen mit dem Zweck, gehört zu werden, als auch eine Theaterinszenierung zum Angesehen-Werden. Schliessen wir die Augen, hören wir Passagen aus «Othello» – mit Sturm, Musik und unterschiedlichsten Klangeffekten –, öffnen wir sie aber, sehen wir, wie sich das alles im Studio spiegelt.


«‹radiOthello› navigue dans l’ eau de la re-création.» Der schriftlich nur leicht abgewandelte und lautlich fast gleich klingende französische Ausdruck récréation wird im Deutschen mit dem Wort «Pause» übersetzt. Was für einen Musiker als Atempause notwendig ist, findet sich in Alvaros «radiOthello» über Aussparungen, Nicht-Gesagtes, Momente des Zuhörens, Abbrechens und Unterbrechens wieder. Die Motive in seinem Text – so unterschiedliche Themen wie das Andere und Fremde, Kommunikation und Nichtkommunikation, Verwechslung, Wahrnehmung, Werte – gestaltet er auf der Bühne musikalisch, über Pausen und Polyphonien, sprachliche Echoformen und Flächen. Als Poet hat Alvaro die Sprache zum Rohstoff seiner kreativen Arbeit gemacht, eine musikalische, visuelle Sprache, eine erfundene Sprache, ausgeleert, zerstört und neu zusammengesetzt, die multiple Sinn- und Klangzusammenhänge herstellt.


Als Autor möchte er denen eine Stimme geben, die keine haben. «Meine Texte handeln oft von Fremden, in der ganzen Vielfalt der Bedeutungen, die diesem Wort anhaften. In diesem Sinn nimmt Shakespeares Figur des Othello einen zentralen Platz im Pantheon meiner wichtigsten Bezugsgrössen ein, die ich wie einen untrennbaren Koffer als Anhängsel mit mir herumtrage. Othello ist ein Maure in Venedig. Das heisst, ein Uruguayer in Paris, ein Pariser in Lissabon, ein Lissabonner in Berlin. Das Thema des Fremden ist zentral in der Tragödie von Shakespeare: Othello ist zugleich ein anerkannter und in Venedig bewunderter General und ein barbarischer Fremder, der weder die Codes noch die venezianischen Sitten kennt. Seine Tragödie ist die eines Angehörigen der Eliten, eines maurischen Generals im Dienst des mächtigen Venedig, und lässt dadurch die Tragädie der Schwächsten umso grösser erscheinen: Wenn ein Privilegierter im Alptraum des totalen Unverständnisses versinkt, worauf müssen sich dann die anderen gefasst machen, die einfachen Ausländer ohne Status? Ich habe eine Stimme besonders demjenigen geben wollen, den man ausschliesst, wenn ‹wir› gesagt wird. Die Selbstgespräche des Darstellers, der Othello spielt – teils direkt von Wittgenstein oder Quine übernommen, teils von ihren Texten ausgehend neu geschrieben – sind Ausdruck meiner Idee, Aspekte der analytischen Philosophie aufzugreifen, um die Frage der Kodierungen, der Wahrnehmung und der Wahrnehmung des Anderen künstlerisch in Angriff zu nehmen.»


Und dann erzählt Alvaro, dass er jeden Tag drei Sprachen benützt: Portugiesisch, Französisch und Spanisch. «Bevor ich 1995 nach Lissabon zog, habe ich zehn Jahre in Frankreich gelebt. So fing ich an, auf Französisch zu schreiben. Als Fremder in der französischen Sprache. Die Fehler will ich behalten. Ich möchte bald wieder auf Spanisch schreiben. Meine Cousine sagte mir vor kurzem, sie sei erschrocken darüber, wie sehr ich die Syntax meiner Muttersprache Spanisch auf anderen Sprachen denken würde. Dann reizt es mich wieder. Als Fremder in der eigenen Muttersprache.» Ansonsten fühlt sich Alvaro selbst schon lange nicht mehr fremd. Er umgebe sich mit den Menschen, bei denen er sich am wenigsten fremd fühle. Also mit Freunden, für die Grenzen nicht viel Sinn machen. «Damit», sagt er, «konstruiere ich mich auf eine bestimmte Weise selbst.»


Hannah Schwegler
radiOthello

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